Von A.Besner, M. Gerstner und A. Strasser.
Seit November 2022 ist die Diskussion zum drohenden Verlust der akademischen Integrität digitaler Prüfungen wegen des möglichen Einsatzes von ChatGPT von OpenAI durch Studierende in vollem Gange. In Forschung & Lehre wird sogar gefragt, ob eine ”Zeitenwende in der Bildung” anstehe (Forschung & Lehre vom 20.12.2022: ChatGPT – ein Meilenstein der KI-Entwicklung). Nachdem erste Ergebnisse darüber berichtet werden, dass ChatGPT Zulassungsprüfungen für amerikanische Ärzte oder für Anwälte bewältige, wenn auch nicht mit Bestnote, werden Auswirkungen generativer Texterstellung mit künstlicher Intelligenz ganz allgemein für das Berufleben, die Bildung und die Kreativität diskutiert (Süddeutsche Zeitung vom 27.01.2023: KI, unser Untergang?).
Die Reaktionen sind dabei ganz unterschiedlich und reichen von der viel zitierten Abkehr von digitalen Prüfungen (The Guardian vom 10.01.2023: Australian universities to return to ‘pen and paper’ exams after students caught using AI to write essays), der Empfehlung Noten durch qualitatives Feedback und gemeinsame Reflexion zu ersetzen (Heise Online vom 16.01.2023: Interview mit Robert Lepenies, Präsident der Karlshochschule International University in Karlsruhe) bis zu Strafandrohungen gegen Studierende (Westdeutscher Allgemeine Zeitung vom 09.01.2023: Es drohen Bußgelder bis 50.000 €).
Auch wenn Hochschulprüfungsordnungen den Einsatz von ChatGPT durch Studierende während Prüfungen bisher nicht ausdrücklich regeln oder sanktionieren, besteht Einigkeit darüber, dass ein solcher Einsatz prüfungsrechtlich unzulässig ist. Sobald Sie ChatGPT nicht ausdrücklich als Hilfsmittel für die Prüfung zugelassen haben, täuschen Studierende durch den Einsatz von ChatGPT während schriftlichen Prüfungen entweder über die Eigenständigkeit ihrer Leistung oder jedenfalls durch die Benutzung eines unzulässigen Hilfsmittels, was ebenfalls einen Täuschungsversuch bedeutete. Mittlerweile sind zwar Software-Lösungen auf dem Markt verfügbar, die versprechen, KI-generierte Texte zu erkennen (z.B. die Software GPTZero).
Aus rechtlicher Sicht ist jedoch vom Einsatz solcher Anwendungen zur Überprüfung der Prüfungsaufgaben abzuraten. Denn einerseits handelt es sich bei den Prüfungsbearbeitungen der Studierenden um deren personenbezogene Daten (vgl. schon EuGH, Urteil vom 20.12.2017 – C-434/16), die nicht ohne Weiteres zur Verarbeitung an Dritte weitergegeben werden dürfen (die Website von GPTZero enthält nicht einmal ein Impressum). Andererseits arbeiten entsprechende Systeme, wie auch ChatGPT selbst, nach statistischen Regeln. Die Ergebnisse einer Überprüfung sind demnach nicht uneingeschränkt überprüfbar und nicht sofort nachvollziehbar. Eine prüfungsrechtlich relevante Entscheidung lässt sich also nicht auf die Ausgaben solcher Systeme stützen.
Was bedeutet das für Sie als Prüfende? Das Bayerisches Kompetenzzentrum für Fernprüfungen empfiehlt Ihnen für die laufende Prüfungsphase an den Universitäten geplante Fernprüfungen auf Täuschungsmöglichkeiten durch den Einsatz von ChatGPT zu überprüfen. Dies betrifft insbesondere schriftliche Fernprüfungen, die als unbeaufsichtigte oder beaufsichtigte Open-Book-Prüfung, Take-Home-Exam oder synchron beaufsichtigte Fernklausur durchgeführt werden sollen. Nachfolgende Möglichkeiten können wir für Ihre geplanten Fernprüfungen empfehlen:
- Technisch Lockdown-Browser mit Videobeaufsichtigung als Fernprüfung
Wenn Sie Ihre Fernprüfung nicht mehr umstellen können, ist zu überlegen, ob Sie Ihre Prüfungen technisch mit einem sog. Lockdown-Browser absichern können. Bestimmte Softwaresysteme (z.B. Inspera, Proctorio, Safe-Exam-Browser) stellen für Onlineprüfungen eine abgesicherte Prüfungsumgebung zur Verfügung, d.h. außer dem E-Test können den Studierenden keine anderen Programme auf dem Laptop angezeigt werden. Um zu verhindern, dass nicht erlaubte Hilfsmittel verwendet werden, sollte die Lockdown-Funktionalität eine Videobeaufsichtigung mittels eines Videokonferenzsystems zulassen (z.B. Big Blue Botton, Webex, Zoom). Ein Einsatz von Lockdown-Browsern erscheint an bayerischen Hochschulen unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 BayFEV rechtlich zulässig. Eine ausführliche Darstellung der technischen und rechtlichen Voraussetzungen für den Softwareeinsatz finden Sie in unserem Leitfaden zur Auswahl von Fernprüfungssoftware (Kap. 2.2 S.7ff und Kap. 2.4 S. 10ff).
- Didaktisch Überprüfung der Aufgabenstellung
Wenn Ihre Fernprüfung leicht recherchierbare Sachfragen im offenen Antwortformat oder Essays zur Begründung bestimmter Fallbeispiele enthält, sollten die Aufgabenstellungen angepasst werden. Generell kann man davon ausgehen, dass kreative, kompetenzorientierte und kommunikative Prüfungsformen von den neuen Möglichkeiten, die sich durch ChatGPT eröffnen, weniger betroffen sind. So können Sie beispielweise kompetenzorientierte Multiple-Choice-Fragen verwenden. Einige Beispiele dazu finden Sie auf unserer Webseite. Eine weitere Möglichkeit ist es, keine offene Frageformate zu verwenden, sondern beispielsweise einen Lösungstext für eine Aufgabe vorzugeben, den die Studierenden durch Quellen und Referenzen aus der Vorlesung oder dem Seminar (z.B. Vortragsfolien, Übungen) bewerten sollen. Eine weitere Möglichkeit ist es, ChatGPT als Tool in Ihre Prüfung zu integrieren. Lassen die Studierenden beispielsweise von ChatGPT für ein und dieselbe Frage mehrere Antworten generieren und diese hinsichtlich ihrer Qualität bewerten. Welche Antwort ist besser und warum? Was unterscheidet eine gute von einer sehr guten Antwort? Hierbei sollen
sich die Studierenden wieder auf Konzepte und Theorien aus der Veranstaltung beziehen.
- Organisatorisch Ergänzung schriftlicher Prüfungen durch weitere Prüfungselemente
Wenn Ihre Studienordnung es zulässt, könnte eine weitere Möglichkeit sein, die (längere) schriftliche Ausarbeitung wie z.B. eine Seminararbeit, um eine mündliche Prüfung zu ergänzen, im Sinne einer kurzen Disputation der wesentlichen Ergebnisse. Im Gegenzug könnte die Länge der schriftlichen Ausarbeitung reduziert werden, um den Mehraufwand auszugleichen.
- Rechtlich Verwendung einer Eigenständigkeitserklärung (Code of Conduct)
Ergänzend zu den o.g. Maßnahmen sollten Studierende bei schriftlichen Fernprüfungen einen Verhaltenskodex bzw. eine Eigenständigkeitserklärung abgeben. Damit bestätigen die Studierenden, dass sie die Prüfungsaufgabe eigen- und selbstständig ohne die Inanspruchnahme der Hilfe Dritter sowie ohne die Nutzung unzulässiger Hilfsmittel bearbeitet haben. Das Unterzeichnen des Verhaltenskodex soll eine stärkere Selbstbindung der Studierenden an die Regeln und Bedingungen der Prüfung bewirken. Beispiele dafür finden Sie auf unserer Webseite.
Alle Empfehlungen und Ideen zum Umgang sind erste Einschätzungen aufgrund des aktuellen Wissensstandes zu den Möglichkeiten von ChatGPT. Die langfristigen Auswirkungen von KI-Werkzeugen wie ChatGPT müssen erst noch erfahrungsbasiert erarbeitet werden. Dazu wollen wir in der nächsten Zeit einen Beitrag leisten.