Im Fokus: Storytelling in der Lehre

Guten Geschichten folgt man gerne – diese Erfahrung haben wir wohl alle schon einmal gemacht, ob als Erzähler:in oder als Teil des Publikums. Wieso sollte man sich dieses Phänomen nicht auch für die Lehre zu Nutze machen? Schließlich dient aufmerksames Zuhören einer effizienten Kommunikation und reduziert dadurch das Risiko von Missverständnissen – ein wichtiger Faktor für den Lernerfolg.

Im Marketing oder Journalismus weiß man längst um die Kraft von Geschichten. „Storytelling“ nennt man es, wenn Erzähltechniken aus Literatur und Film eingesetzt werden, um Botschaften prägnant zu vermitteln. Man bedient sich Elementen aus der Rhetorik, nutzt Metaphern und Symbole. Statt auf sachliche Beschreibungen setzt man auf scheinbare Widersprüche, emotionale Bindung und vor allem Identifikationspotential mit einer Heldenfigur. Besonders letzteres liefert die Heldenreise, eines der bekanntesten Konzepte innerhalb des Storytellings.
In dieser Struktur steht eine Heldin im Mittelpunkt, die ihre Heimatstadt verlassen muss, um zu einem gefährlichen Ort zu gelangen. Auf dieser Reise begegnet sie verschiedenen Hindernissen und Problemen, die sie aber allesamt überwindet. Schlussendlich kehrt sie in ihren Heimatort zurück – bereichert um wertvolle Erfahrungen.
„Die Heldenreise weist viele Parallelen zur Hochschullehre auf: Auch für Studierende gibt es – wie bei der Heldin – Lernziele, die zu erreichen sind. Man kommt im Studium nur ans Ziel, wenn man sich Prüfungen und Problemen gestellt hat und so einen Transformationsprozess durchläuft,“ erklärt Mogan Ramesh aus dem hochschuldidaktischen Team von ProLehre. Zusammen mit seiner Kollegin Sofia Vio hat er das Potenzial des Geschichtenerzählens für die Hochschullehre erkannt. Beide gemeinsam haben sich über die vergangenen Monate intensiv mit dem Thema befasst und einen Kurs konzipiert, der Lehrenden die Vorteile des Storytelling-Konzepts im didaktischen Kontext näherbringt.
Doch worin genau besteht der Nutzen? Wie bereits erwähnt, erzeugen narrative Vermittlungsformen Aufmerksamkeit, die eine der Grundvoraussetzungen dafür ist, dass Studierende schon im Hörsaal etwas mitnehmen, und nicht erst beim Paniklernen kurz vor der Klausur. Zum anderen lässt sich die Relevanz von Lehrinhalten besser vermitteln, wenn sie in eine Geschichte eingebettet sind. „Sobald Studierende verstehen, warum sie etwas lernen, steigt für gewöhnlich auch ihre Motivation, sich mit den Themen auseinanderzusetzen,“ weiß Sofia Vio. In ihrem Kurs nehmen die beiden Expert:innen auch die mögliche Sorge, dass das Einbinden narrativer Elemente einen hohen Zusatzaufwand für die Gestaltung der Lehre abverlangt. „Beim Storytelling gibt es viele Parallelelen zu althergebrachten hochschuldidaktischen Konzepten. Sind Dozierenden beispielsweise das ARIVA-Modell oder das Konzept des Constructive Alignment bekannt, dann ist der Weg zum Einsatz von Storytelling-Elementen nicht mehr weit,“ erklärt Ramesh. Immer geht es darum, an einem bekannten Ort anzufangen, um sich von dort einen neunen, unbekannten Ort zu erschließen.
Will man sich das Storytelling-Konzept für das eigene Unterrichten also zu Nutze machen, muss das bestehende Lehrkonzept nicht komplett verworfen werden – es wird vielmehr aus einer anderen Perspektive auf Inhalte geschaut. Dabei sollten sich Lehrende darauf einlassen, einen Schritt von ihrem eigenen Wissen zurückzutreten und das zu vermittelnde Thema aus einer simplen Perspektive betrachten – ohne die Sorge, dass es automatisch an Wissenschaftlichkeit verliert.
Sieht man die Lehrveranstaltung als eine Reise, auf der die Dozentin als Bergführerin agiert, können folgende praktische Elemente helfen: Das Erinnern daran, was in der letzten Sitzung behandelt wurde, von wo aus man weitergeht, wo es steil bergauf geht und an welcher Stelle eine Begleitung durch die Dozentin besonders wichtig ist – all das sind narrative Reisemetaphern, die implizit genutzt werden können, um den Lernerfolg zu steigern. Sofia Vio, die sich bei ProLehre mit dem Thema Storytelling auseinandersetzt, merkt allerdings einschränkend an: „Studierende müssen sich natürlich trotzdem weiterhin mit dem Lernstoff auseinandersetzen – metaphorisch gesprochen müssen sie also selbst klettern. Narrative Vermittlungsformen ersetzen nicht das aktive Lernen.“ Storytelling-Konzepte wie die Heldenreise können und müssen zudem nicht immer Eins-zu-eins auf die Hochschullehre übertragen werden, um eine Wirkung zu entfalten. „Man sollte seine Lehre nach dem Storytelling-Konzept auch nicht zu sehr in ein Format pressen – künstlerische Gestaltungsfreiheit und das Ausprobieren stehen an erster Stelle,“ merkt Mogan Ramesh aus dem hochschuldidaktischen Team von ProLehre an. Um einen Einstieg ins Storytelling in der Hochschullehre zu finden, empfiehlt er, folgende Fragen an den eigenen Lehrstoff zu stellen:

1)     Warum präsentiere ich meine Inhalte genau in dieser Reihenfolge? Wie hängen sie narrativ zusammen? Wie sind sie kausal verknüpft?

2)     Wo kommt das Wissen meiner Studierenden an seine Grenzen? An welchem Fall könnte ich deutlich machen, dass dem so ist?

3)     Was ist die Belohnung für die Studierenden, wenn sie das neue Wissen verfolgen? Über welche Thematik gewinnen sie dadurch Meisterschaft?

Wenn Sie Interesse haben, mit dem Storytelling in ihrer Lehrveranstaltung zu experimentieren, dann behalten Sie unser Kursangebot im Blick: Im kommenden Semester wird es wieder einen Kurs zum Thema geben. Zudem finden Sie auf unserem YouTube-Kanal das erste Video einer dreiteiligen Videoserie, die das Konzept erklärt und in den kommenden Monaten vollständig erscheint. Auch im Rahmen individueller Beratungen stehen wir Ihnen immer zur Verfügung – sprechen Sie uns an! Weitere Informationen finden Sie zudem in den folgenden beiden Büchern, die wir Ihnen zum Thema Storytelling empfehlen: Randy Olson: „Houston, we have a narrative. Why Science Needs Story“ und Nancy Duarte: „Resonate“.